Ingrid Rimland erzählt in ihrem dreibändigen Werk "Lebensraum!" über Flucht und Neubeginn
auch ihre Lebensgeschichte

(Buchbesprechung von Dr. Wilhelm Kriessmann in Amerika Woche, 12. Dezember 1998)

 

Gute Gründe für den Stolz

 

". . . der weite Horizont allein schien eine Höhenwelle zu sein, hinter der vielleicht ein Paradies lockte. Aber immer dehnte er sich weiter und weiter. Bei Sonnenuntergang aber erglühte die Steppe in den herrlichsten Farben. Im Ostteil der Nogaischen Steppe um Melitopol und nordostwärts traf man dann auf schöne Dörfer mit deutschen Obstgärten. Festgebaute Steinhäuser kündeten von einstiger Wohlhabenheit. Ihre Einwohner hatten sich die deutsche Sprache rein erhalten. Aber es gab fast nur Greise, Frauen und Kinder. Die Männer waren von den Sowjets bereits verschleppt worden..."

 

So berichtet Erich von Manstein in seinem Buch "Verlorene Siege", als er im September 1941 den Oberbefehl über eine Armee im Süden Rußlands übernahm.

 

Die Molotschna-Kolonie lag etwas nördlicher . . . ebenfalls eine musterhafte Siedlung deutscher Einwanderer, die seit zwei Jahrhunderten aus der ukrainischen Schwarzerde wogende Weizenfelder von Horizont zu Horizont beackerten. Mennoniten aus dem Mündungsgebiet der Weichsel, die dem Ruf der einstigen deutschen Prinzessin Sophie von Anhalt-Zerbst, die in die Weltgeschichte als Zarin Katharine die Große einging, folgten und gründeten diese Siedlung.

 

Ingrid Rimland war im zarten Alter von fünf Jahren, als Mansteins Soldaten, bejubelt als Befreier, im September 1941 in der Mennoniten-Gemeinde einmarschierten. Die Sippe stand am Rande der Vernichtung. Ingrids Vater und die meisten männlichen Einwohner wurden verschleppt oder fielen, von den Kugeln der GPU getroffen. Die einst blühenden Weizenfelder verrotteten unter der Kolchose, und das letzte Ackergerät wurde vor dem Anmarsch der Deutschen ostwärts verschleppt. So begann Ingrid Rimlands dornenvoller Lebensweg.

 

Ausgezehrt erreichte der Mennoniten-Trek im April 1945 Cottbus. Dem Stahlgewitter der alliierten Bomben und dem Rachedurst der Sowjets-Soldateska zu entkommen, galt dessen letzte Kraft. Ingrid gelang mit Großmutter, Mutter und Schwester bei Nacht und Nebel die Flucht aus der Sowjetzone. In Detmold sammelten sich in den nachfolgenden drei Jahren die verstreuten Mennoniten und segelten, 1800 Seelen stark, über den Ozean nach Paraguay. Im tiefsten Urwald erreichte die gottesfürchtige Gemeinde wie einst unter der Zaritza Katharina der Ruf zu roden, zu ackern, zu schaffen. Diesesmal war es General Stroessner, Präsident der Republik Paraguay, der die Deutschen rief. Als Sproß deutscher Einwanderer wußte er um deren Fleiß, Arbeitskraft und Ordnungsliebe.

 

Ihre Odyssee führte Ingrid über Argentinien in die kanadische Provinz Ontario, und von dort 1967 nach Wichita, Kansas. Durch all die Jahre wuchs in ihr der Drang, das Vielerlebte wiederzugeben. Ihre Zunge beherrschte den harten Klang der deutschen Sprache der Weichselniederung, wie sie die Rußlandsiedler durch Jahrhunderte wach hielten. Spanisch hatte sie im paraguayischen Urwald erlernt. In (Stockton, California) erwarb sie sogar einen Doktortitel.

 

Englisch wurde ihre "lingua franca'. Die ersten Essays und Kurznovellen sprossen aus ihrer Feder. 1977 erschien ihr Buch, "The Wanderers", in dem sie sich das Erlebnis des Flüchtlingstreks von der Seele schrieb. Das Werk wurde in Kalifornien ausgezeichnet.

 

Dieser Erfolg hatte sie dazu angespornt, in einer umfassenden Form nicht nur das Schicksal ihrer Rußlanddeutschen zu schildern, sondern sich auch mit den drängenden Fragen von Schuld und Sühne der Nachkriegsdeutschen auseinanderzusetzen.

 

So entstand in jahrelanger Arbeit die Trilogie "Lebensraum!" in epischer Breite, drei Bände: Buch I - A Passion for Land and Peace (1789 - 1917), Buch II - The Theft of Land and Peace (1917 - 1939), und Buch III - The Dream of Land and Peace (1939 - 1945). Zwischen dem Mennonitendorf Apanlee in der Ukraine, der Mennotown in Kansas, zwischen Zarenadler und Rotem Stern, zwischen den Neudorfs und Epps, zwischen den wogenden Weizenfeldern der neuen Heimat und den rauchenden Trümmern Berlins läuft ein gewaltiges Drama ab. Weltanschauungen prallen gegeneinander innerhalb der weit verzweigten Sippe. Archie, Josie und Temperance in Wichita, Erika und Jonathan in Berlin stehen sich zuletzt gegenüber. Roosevelts Amerika gegen Hitlers Deutschland!

 

Dem Leser wird mit dem dreibändigen Werk eine mächtige Aufgabe gestellt. Die Bücher verlangen von Zeit zu Zeit nach Atem- und Gedankenpausen. Wohl je nach Generation und politischer Einstellung wird das Werk sein Urteil erleben. Mich erinnert es an Krögers "Heimat am Don" und Grimms "Volk ohne Raum", es erinnert mich aber auch an meine frühe Überzeugung, dem roten Ansturm als Pilot der Luftwaffe Einhalt gebieten zu müssen.

 

Im abschließenden Epilog läßt die Autorin keinen Zweifel offen, worin sie ihre weitere Aufgabe sieht, Ruferin und Mahnerin am Beginn eines neuen Jahrhunderts zu sein: "Warum schämen sich unsere Kinder heute, zu sagen, sie seien Deutsche? Unsere Geschichte ist eine stolze, erfüllte Geschichte. Es gibt keinen Grund dafür, sich zu schämen. Wir sollten sagen: 'Meine Eltern waren Deutsche. Meine Großeltern waren Deutsche..." und uns dabei wieder stolz fühlen können. Das wird 'Lebensraum!' erreichen."

 

(Please note: There are slight geographical and historical inaccuracies in this review, because the reviewer was not familiar with Mennonite history)

 


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