Jagschitz durchgeknallt? Frißt die Zeitgeschichte ihre Väter?
 

 

May 2, 2005

Sorge um Sachverständigen: Öffentlich spricht er Hitler von Urheberschaft an Holocaust frei!

Der gerichtlich beeidete österreichische Sachverständige Professor Gerhard Jagschitz hatte die Teilnehmer einer Diskussionsrunde des österreichischen TV bereits im Herbst vergangenen Jahres geschockt. Soeben meinte der Regisseur des Filmes "Der Untergang", O. Hirschbiegel, eine Binsenweisheit in den Raum gestellt zu haben, als er sagte, daß Hitler der Motor des Völkermordes an den Juden gewesen sei.

Blitzschnell konterte Jagschitz: "Nein, Hitler war nicht der Motor des Holocaust an den Juden..."

Regisseur Hirschbiegel erholte sich als erster von seinem Schrecken und fragte die naheliegende Gretchenfrage, die jetzt wohl jedem Deutschen, ja jedem menschlichen Wesen auf der Seele brannte: "Wer sonst?"

Eine gute, eine notwendige Frage, gerichtet an den bestinformierten Sachverständigen für Zeitgeschichte und Holocaust im deutschen Raum. Der aber schwieg. (Siehe Faksimile, entnommen der österreichischen Wochenzeitung "News", Nummer 39 aus 2004, S. 137.)

Geistesgegenwärtig überging der Moderator den Amoklauf des Herrn Professors wider die durch das Strafgesetz geschützte, zeitgeschichtliche Darstellung. Weniger Geistesgegenwart allerdings legte wohlweislich die österreichische Staatsanwaltschaft an den Tag. Sie zog es vor, auf Tauchstation zu gehen.

Der Meinungsumschwung des Professors wirkte mit Zeitverzögerung: Von Politik und Medien unbeaufsichtigt, griff in der Folge eine große Verunsicherung und eine fatale Neugierde um sich, die inzwischen weite Kreise erfaßt hat.

Bundesrat Graf John Gudenus verlangt öffentlich Untersuchung des Holocaust-Vorwurfes.

Am Vorabend des 60. Geburtstages der Zweiten Republik Österreich krachte es nun erstmals in dem von Jagschitz gelegten Minenfeld: mitten in die vorsätzlichen und von langer Hand geplanten Befreiungsfeiern vom 8. Mai hinein wagte es der freiheitliche Bundesrat Graf John Gudenus als erster Politiker, offensichtlich unter dem Eindruck des Meinungsumschwungs des Gaskammern-Professors Jagschitz, öffentlich und maßvoll für eine Untersuchung des Gaskammernmordvorwurfes einzutreten.

Diese Anregung erschüttert nun die Republik. Seitdem der Bundeswehrgeneral Schultze-Rhonhof.kürzlich aufgedeckt hatte, daß sich Deutschland zuletzt 1990 (Zwei-Plus-Viervertrag) verpflichten mußte, die historischen Ergebnisse der alliierten Geschichtsschreibung für immer anzuerkennen, liegt der Verdacht nahe, daß es für Österreich eine ähnliche Vereinbarung gibt.

Geradezu unlösbar muß dieser Fall nun für die österreichische Justiz erscheinen: Handelt es sich doch bei Prof. Jagschitz um jenen gerichtlich beeideten Sachverständigen, der als erster und einziger Sachverständiger der Welt jemals den gerichtlichen Auftrag hatte, und zwar im Prozeß gegen Gerd Honsik, die Gaskammer von Auschwitz zu erforschen.

Fünf Jahre brauchte Jagschitz damals, um 30.000 Akten zu studieren. Hoch waren die Kosten und karg das Ergebnis: zwei Millionen Schilling an Honorar holte sich der Professor aus der Staatskasse, nur um zu folgendem Schluß zu kommen: Es gäbe zwar keine direkten Beweise für den Holocaust, jedoch sehr wohl "indirekte" Beweise. Im Prozeß gegen Gerd Honsik hatte Jagschitz als Gerichts-Gutachter bereitwillig den Wunsch der Staatsanwaltschaft erfüllt: der Angeklagte hätte es wissen müssen, daß seine Frage "Freispruch für Hitler?" von der historischen Faktenlage her nicht erlaubt sei. Im Klartext: einem Schuldspruch stünde nichts im Wege. So wurde denn diese Frage nach dem Gutachten von Jagschitz damals mit Kerker beantwortet. Wie kann der Schuldspruch von damals nun aufrecht bleiben, wenn der Gutachter von einst nun seinerseits selbst diese Frage im Sinne des Angeklagten beantwortet?

Denn nun, 13 Jahre danach, spricht Professor Jagschitz öffentlich eben jenen Hitler von eben der Urheberschaft an eben dem Völkermord frei, den Honsik vor 18 Jahren höflich zu hinterfragen gewagt hatte.

Die Anregung des österreichischen Bundesrates Graf John Gudenus, den Holocaust-Vorwurf nunmehr prüfen zu lassen, kann aus der Sicht des Demokraten glücklicher Weise keine rechtlichen Folgen haben: Immunität beschützt ihn. Sie bewahrt aber auch die Justiz vor dem wahnwitzigen Versuch, gegen den beliebten Politiker und ehemaligen Offizier Anklage zu erheben.

Bleibt die Sorge um Professor Jagschitz, den Paulus der Zeitgeschichte, der nun zum Saulus mutierte. Eine Option für die Justiz, so steht zu fürchten, könnte noch die politische Psychiatrie sein, wie sie gegen Ing. Emil Lachout zum Einsatz kam. Denn den angeblich bestinformierten Gaskammernexperten Österreichs, der nun Hitler öffentlich entlastet, anzuklagen, muß politisch riskant erscheinen.

Bleibt noch das Mittel der Rechtsbeugung: Der Gleichheitsgrundsatz müßte fahren gelassen werden. Was den anderen verboten ist und wofür andere jahrelang hinter Kerkermauern verschwanden, müßte dem Herrn Professor gestattet bleiben.

Über Jagschitz, dem Historiker und Zeugen mancher Anklagen, schwebt weiter das Damoklesschwert, selbst Opfer eben der Staatsanwaltschaft werden, der er in der Vergangenheit eifrig zugearbeitet hat. Frißt die Zeitgeschichte nun ihre Väter?

Prof. Guido Raimund

 

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