Im Mannheimer großen Schwurgerichtssaal geht es nun um die "Zündelsite"

Quelle:  F.A.Z., 16.05.2006, Nr. 113 / Seite 3
Von Volker Zastrow

MANNHEIM, im Mai. Die Stimme des Angeklagten trägt im großen Schwurgerichtssaal des Mannheimer Landgerichts bis ins letzte Hörgerät. Die alten wie die jungen seiner etwa 80 Anhänger haben sich gestrafft. Ernst Zündel, ein kleiner Mann von 66 Jahren, der meist versunken dasitzt, hat sich gleichfalls aufgerichtet und folgt sich beim Reden aufmerksam. Er stimmt sich zu. Schwere Thesen bekräftigt er mit schwerem Nicken, den Hintersinn mancher Bemerkung reißt er mit auffallend geistreichem Lächeln aus nicht allzu tiefer Verborgenheit. Zündel hört sich gerne reden. Aber vorerst hat er sich Schweigen auferlegt. Zu vernehmen ist eine zehn Jahre alte Rundfunksendung: knapp sechzig Minuten, die Zündel bei der Königsberger "Stimme Rußlands" gekauft hatte, um ein deutsches Publikum über Mittelwelle zu erreichen.

In Mannheim verstärkt Richter Meinerzhagen nun das angelsächsisch überformte Schwäbisch des Angeklagten mit nichts weniger als dem Vorsitzendenmikrofon. Er hat es geradezu freundschaftlich zum Ghettoblaster herabgebogen, aus dem die Tonaufzeichnung erklingt. Überhaupt ist Meinerzhagen an diesem sechsten Verhandlungstag kaum wiederzuerkennen. Seit Fräulein Stolz ihm nicht mehr an der Kehle hängt, wirkt er wie neugeboren.

Zündels Verteidigerin, eine seiner sechs Anwälte, ist vom Oberlandesgericht in Karlsruhe aus dem Mannheimer Verfahren ausgeschlossen worden. Dagegen hat sie den Bundesgerichtshof angerufen. Daß sie die Beschwerde mit "Heil Hitler" unterzeichnet hat, mindert aber vermutlich deren Erfolgsaussichten.

Jetzt sitzt Fräulein Stolz neben ihrem 70 Jahre alten, gleichfalls relegierten "Assistenten" Horst Mahler in der ersten Publikumsreihe. Ein seltsames Paar: der silberbärtige Mann in grünem Hemd mit gemütlich vor dem Embonpoint gefalteten Händen und dem hyperaktiven Blick eines Wilderers - und die altfränkisch frisierte, kinderlose Frau am Rande der Lebensmitte und des Nervenzusammenbruchs, im Schlangenmusterrock und einem rosa Trägerleibchen, das die Büste entschieden scharfzeichnet. In Wahrheit ist sie seine Assistentin. War es nicht eigentlich Mahlers Motto, das sie eigentlich ihm zurief, als man sie am fünften Verhandlungstag rücklings aus dem Saale trug: "Das Deutsche Reich erhebt sich"?

Wegen seines Rigorismus ist Mahler sogar von der NPD abgestoßen worden. Doch andererseits tragen ihm die Furcht- und Rücksichtslosigkeit, mit denen er seinen privatreligiös aufgezäumten Antisemitismus vertritt, in der Szene Respekt und bei Fräulein Stolz rotglühende Bewunderung ein. Allein in dem Verfahren, das im Jahr 2004 vor dem Berliner Landgericht gegen ihn geführt wurde, hat Mahler in elf Monaten fast 50 Stunden aus dem Bleiwüstenplaneten seiner Schriftsätze vorgetragen. Das lichtete die Reihen. Auch Zündels Radiomonolog vom 12. Oktober 1996 kurzweilig zu nennen erfordert einige Entschlossenheit. Man fühlt sich in jene Zeit zurückversetzt, als die Kinder durch Fernsehsendungen wie "Luis Trenker erzählt" berechtigterweise vom Fernsehen abgehalten wurden. Zündel freilich hatte nur die eine Sendung, die angekündigten Fortsetzungen gab es nicht. Mit zehnjähriger Verspätung hört man ihn nun in Mannheim den Aufbau eines eigenen "Mediums" ankündigen und Hinweise auf seine Internet-"Zündelsite" ausbuchstabieren. Schon früh hatte der Deutsch-Kanadier sich bei der Verbreitung seiner "revisionistischen" Botschaft moderner Technik bedient, zum Beispiel erfolgreich VHS-Kassetten vertrieben. Den Durchbruch zu internationaler Bekanntheit brachten ihm aber Gerichtsverfahren in Kanada - die er verlor, bis 1992 das höchste Gericht die einschlägige Strafnorm zugunsten der Redefreiheit für verfassungswidrig erklärte.

Schon zuvor sahen deutsche rechtsradikale Organisationen mißgünstig, wie der umtriebige Zündel bei hiesigen Sympathisanten und NS-Witwen Spenden und Erbschaften für seine "Kriegskasse" einwarb. Für die sammelt jetzt die amerikanische Schriftstellerin Ingrid Rimland, Zündels dritte Frau. Den Mannheimer Prozeß hat sie zur "entscheidenden Front" erklärt.

Frau Rimland kamen die Tränen, als sie der Brief des Mannheimer Landrichters Dr. Meinerzhagen im fernen Tennessee erreichte. Da in Deutschland gegen sie ebenfalls Haftbefehl vorliegt, wird ihr darin "sicheres Geleit" für eine Aussage in Mannheim zugesagt. Noch gerührter war Frau Rimland, als sie erfuhr, daß Meinerzhagen Zündels Sendung im Gerichtssaal "erlaubt" hatte, die ihr als "fabelhaft" beschrieben wurde. Und daß der Vorsitzende Richter zuletzt auch noch den offenen Brief vorlas, den sie ihm geschrieben hatte, versetzte sie in freudige Erregung.

Einfühlsamer als er hätte auch Frau Rimland ihren Brief nicht vortragen können. Sie weist darin die Behauptung zurück, die sogenannte "Zündelsite" werde von Ernst Zündel kontrolliert. "Ich stand und stehe auf eigenen Füßen. Die Zündelsite ist mein Eigentum. Ernst hat die Zündelsite nicht gegründet. Das tat ich. Ernst hat die Zündelsite nie geführt. Ich tue das - schon seit fast zwölf Jahren."

Bald 70 Jahre alt, blickt Frau Rimland auf ein bewegtes Leben zurück. Sie kam in Halbstadt zur Welt, einer deutsch-mennonitischen Siedlung in der Ukraine, wohin ihre Vorfahren zur Zeit der Zarin Katharina gekommen waren. Frau Rimlands Eltern waren Lehrer, ihr Vater wurde 1941 von den Kommunisten nach Sibirien deportiert. Das ist ihre einzige Erinnerung an ihn: Wie er sie zum letzten Mal auf den Arm nahm, wie sie ihre Nase in sein frischgebügeltes Hemd steckte. Sie war fünf Jahre alt.

Der Einmarsch der Wehrmacht erschien ihr, als habe "der Herr die Engel vom Himmel gesandt". Die zwei Jahre der Besatzung sind ihr nur "wundervoll" in Erinnerung geblieben, und die Flucht zusammen mit der Mutter und kleinen Schwester nach Deutschland vor den anflutenden Truppen der Roten Armee beschreibt sie so: "We were walking to my dear Reich" - in "mein liebes Reich". Hitler war ihr Held.

Doch Hitler war tot, das Reich zerfiel, und die Flucht ging weiter. Sie führte schließlich, vermittelt durch nordamerikanische Mennoniten, 1948 bis in den Dschungel Paraguays, in eine Kolonie von etwa 2000 Personen, hauptsächlich Frauen und Kindern, die späterhin 16 Dörfer gründeten. Mit 22 Jahren heiratete Ingrid Rimland zum ersten Mal, bekam ein Jahr später einen Sohn, der bei einer Operation durch die Narkose schwer geschädigt wurde. Um der medizinischen Versorgung des Kindes willen zog sie Ende der fünfziger Jahre nach Kanada und schließlich in die Vereinigten Staaten. Dort konnte sie studieren und promovieren, sie ist Lehrerin geworden. Ihr erster, 1977 erschienener Roman "The Wanderers" verarbeitet ihre Familiengeschichte von 1914 bis 1957.

1994 wurde sie zu einem "Seminar" des revisionistischen "Institute for Historical Review" eingeladen, wo sie Ernst Zündel kennenlernte. Auf einer kürzlich gedrehten, kaum mehr als fünf Stunden dauernden Propaganda-Doppel-DVD berichtet Ingrid Rimland, Zündel habe ihr unmittelbar nach einem Brandanschlag auf sein Haus in Toronto am 7. Mai 1995 auf ihre Frage "Wie kann ich dir helfen?" erwidert: "Well, you can start a website", und ihr dazu 750 Dollar ausgehändigt.

Demnach wäre Zündel also doch Begründer dieser Seite. Auch welch hohe Bedeutung Zündel seinen Internetaktivitäten beimißt, geht aus den DVDs hervor. Zündel kündigt darin wiederholt den Aufbau eines "Medien-Imperiums" an und zeigt sich geradezu begeistert von der Bedeutung des Internets zur Umgehung der sogenannten "Systemmedien". Es sei die "revolutionärste Technik seit Gutenberg". Von Hoffnung beflügelt, schickte Frau Rimland diese DVDs an Richter Meinerzhagen.