Ein Tag im Zündel-Prozeß

VON ASTRID HÖLSCHER (Frankfurter Rundschau)

Jürgen Rieger, der Anwalt der rechtsextremen Szene, stellt Beweisanträge. Seit mindestens einer Stunde schon. Zeugen sollen seine Behauptung "bestätigen", dass es "keine jüdische Massenvernichtung im Dritten Reich" gegeben habe, dass in Auschwitz und Birkenau "keine Gaskammern existiert" hätten. Dazu sei beispielsweise das Statistische Bundesamt zu befragen, das Erhebungen zu den Zahlen der Opfer 1939 bis 1945 begonnen habe, was ihm dann "vom Jüdischen Weltkongress untersagt" worden sei. "Bauakten" von Auschwitz seien heranzuziehen; denn "in nicht vorhandenen Bunkern kann auch niemand vergast worden sein". Überhaupt sei die Zyklon-B-Fabrikation 1944 durch Bomben "fast völlig zerstört" worden. Rieger: "Wie soll die SS ohne Gas Menschen vergast haben können?"

Kein Giftgas, keine Opfer, keine Schuld. Eben darum geht es den rechtsextremen "Revisionisten" deutscher Geschichte. Vor dem Mannheimer Landgericht muss sich seit November 2005 Ernst Zündel wegen Volksverhetzung, nazistischer und antisemitischer Propaganda verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 67-Jährigen vor, er habe in Rundbriefen und auf Internetseiten "in pseudo-wissenschaftlicher Art den Nationalsozialismus vom Makel des Judenmordes entlasten" wollen. Der Holocaust werde darin als "Lügenmonstrum" bezeichnet, mit dem man "die Deutschen in unaufhörlicher geistiger, politischer und finanzieller Knechtschaft" halten wolle. Der Angeklagte schweigt.

Verteidiger Rieger aber setzt authentisch fort, was sein Mandant in Kanada und den USA auf der "Zundelsite" begonnen hat. So wird dann Auschwitz zum "Quarantäne-Durchgangslager" mit "Grünflächen zum Hinlegen und Blumenbeeten", einer "Fürsorgeabteilung für Häftlinge", denen "Krankengymnastik" und "Erholungsurlaub" geboten worden sei. Der Vorsitzende Richter Ulrich Meinerzhagen beendet denn auch die Tirade mit dem Hinweis, die Staatsanwaltschaft werde prüfen, "inwieweit Sie sich mit der Stellung der Beweisanträge strafbar gemacht haben".


Der Zündel-Prozess

Ernst Zündel, geboren 1939 in Calmbach (Baden-Württemberg), war als 19-Jähriger nach Kanada ausgewandert. Von Toronto verbreitete er seit 1976 über seinen Samisdat-Verlag Schriften und Videos, in denen das NS-Regime verherrlicht und der Holocaust verleugnet wurde. 1994 startete er mit einer revisionistischen Internet-Homepage. Als unerwünschte Person wies Kanada Zündel im Februar 2005 aus und schob ihn nach Deutschland ab. Am Frankfurter Flughafen wurde er festgenommen. Der Prozess wegen Volksverhetzung wurde vom Mannheimer Landgericht am 8. November 2005 eröffnet. Nach Paragraf 130 des Strafgesetzbuchs wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bedroht, wer Nazi-Gräuel öffentlich "billigt, leugnet oder verharmlost".

Das sorgt für Gesprächsstoff in der Pause. Ob es jetzt "gegen Rieger" gehe, raunen die Zuhörer einander mit Sorge zu. Eine Anwältin, die 43-jährige Sylvia Stolz, wurde immerhin schon im Mai von der Verteidigerbank verbannt, weil sie "Erklärungen mit teilweise strafbaren nationalsozialistischen Inhalten abgegeben" hatte. In ihrer Beschwerde gegen den Ausschluss, die der Bundesgerichtshof abwies, hatte die Anwältin konsequent mit "Heil Hitler" gegrüßt.

Wer an den Verhandlungstagen der 6. Großen Strafkammer das Mannheimer Landgericht betritt, findet sich in einer Art Parallelwelt wieder. Was seit sechzig Jahren als gesichertes historisches Wissen der Bundesrepublik gelten kann, hier ist es nicht angekommen.

Etwa siebzig Leute, die meisten im gehobenen Rentenalter, sitzen an diesem Tag in dem nüchternen Gerichtssaal. Unter Neonlicht, auf grauen Plastikbänken, die meisten Bushaltestellen sind heute komfortabler ausgestattet. Freundliche ältere Herrschaften, fest entschlossen, die eigene Jugend in rosig verfälschter Erinnerung zu behalten. "Armes Deutschland", kommentiert eine Frau in den Siebzigern, altmodisch adrett in ihrer fein getupften Rüschenbluse, in sanftem Ton die Ankündigung des Vorsitzenden. Aber vielleicht würden die Richter ja zu solcher Härte "gezwungen". "Wer weiß, welchem Druck die ausgesetzt sind?" Wer an die "jüdische Weltverschwörung" glaubt, spürt deren Arm bis Mannheim.

Sie nennen einander beim Vornamen, bedauern, dass "Kamerad Heinz" heute verhindert sei, haben zum Geburtstag eines "Kameraden" eine Flasche Trollinger mitgebracht. Die muss draußen bleiben, wegen der Sicherheit. Eingangsschleusen und Taschenkontrollen empfinden sie als "Schikane". "Sehen wir so aus, als ob wir hier einen Anschlag planen?", fragt ein pensionierter Eisenbahner aus Offenburg, mit 66 einer der Jüngeren. Aber sie harren geduldig aus in der Schlange, lassen bereitwillig der alt- und neonazistischen Prominenz den Vortritt. Dem einschlägig vorbestraften Ex-Gymnasiallehrer Günter Deckert etwa, der verhinderten Verteidigerin Sylvia Stolz oder dem Rechtsaußen-Anwalt Horst Mahler, vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten mit vorläufigem Berufsverbot belegt. "Ihr seid wichtiger als wir", weiß das Fußvolk des Völkischen.

Unwichtig aber ist dieses Publikum nicht. Zwar halten die meisten sich im Saal zurück, vorsichtig geworden wegen der satten Geldstrafen, die Richter Meinerzhagen bei Zwischenrufen und Beifallskundgebungen verhängt hat. Doch bietet dieses Publikum den Verteidigern Folie und Vorwand. Das Gericht solle "sich doch nicht dem Verdacht aussetzen", dass man seine Darlegungen "der Öffentlichkeit vorenthalten" wolle, sagt der greise Co-Anwalt Herbert Schaller, in Österreich erste Adresse für Nazi-Apologeten. Um dann 36 eng beschriebene Seiten zu verlesen, derselbe Tenor, wie schon von Rieger gehört.


Mannheim

Zündel will Irans Präsident im Zeugenstand

Mit seiner ersten Äußerung vor dem Mannheimer Landgericht hat der mutmaßliche Holocaust-Leugner Ernst Zündel einen heftigen Streit zwischen dem Vorsitzenden Richter und der Verteidigung ausgelöst. Die Kammer warf der Verteidigung "verfahrensfremdes Verhalten" und "Missbrauch des Antragsrechts" vor.

Zündel begrüßt die Zuschauer im Gericht

Zündel verlas einen umfangreichen Beweisantrag seines Wahlverteidigers. Darin beantragte der 67-Jährige unter anderem die Zeugenvernehmung des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Die Kammer hatte allerdings zuvor den Beschluss gefasst, dass die Beweisanträge der Verteidigung der Kammer zunächst in schriftlicher Form vorgelegt werden müssten. Die "Umgehung" des Gerichtsbeschlusses sei eine "Frechheit", so der empörte Vorsitzende Richter.

Anwälte könnten sich strafbar machen

Vor Zündels Antrag hatte das Gericht ein Selbstleseverfahren angeordnet. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass sich die Verteidiger mit der öffentlichen Verlesung ihrer Anträge selbst strafbar machen könnten, hieß es. Nach Auffassung des Gerichts sollen bereits zwei Anwälte Zündels in früheren Beweisanträgen die Massenvernichtung an den Juden in Zweifel gezogen haben. Die Verteidigung nutze die Anträge als "Instrument der Propagierung politischer Überzeugungen", hieß es weiter.

Eine andere Anwältin Zündels war bereits vor einigen Monaten vom Prozess ausgeschlossen worden, weil sie einen Brief mit "Heil Hitler" unterschrieben hatte.

Verteidigung moniert "unfaires Verfahren"

Zündel wird von drei Wahl- und zwei Pflichtverteidigern vertreten. "Was sie abziehen wollen, ist ein Geheimverfahren", warf Zündel dem Richter vor. Das Gericht, kritisierte zudem der Anwalt des Angeklagten, führe ein "absolut unfaires Verfahren" gegen Zündel.

Die Staatsanwaltschaft wirft Zündel vor, er habe von Kanada aus via Internet den millionenfachen Mord an den Juden in der Zeit des Zweiten Weltkriegs geleugnet. Der Prozess wird am 19. Oktober fortgesetzt.