Neuer Prozeß gegen Germar Rudolf: Konfliktgeladene Atmosphäre

Von M. Sommer

Für die linksterroristischen Polithäftlinge der RAF wurde im Jahr 1964 die millionenteure Hochsicherheitsvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim in Betrieb genommen. Die Investition hat sich rentiert. Die RAF ist verdorben und gestorben. Seither dient die selbst gegen Hubschrauberbefreiungsversuche abgesicherte Anstalt rund 1000 nichtpolitischen Strafgefangenen zum Aufenthalt, derzeit 70 bis 80 Prozent nichtdeutscher Herkunft.

Seit November letzten Jahres befindet sich in Stammheim aber wieder ein "staatsbedrohender" Gefangener, der für 23 Stunden des Tages in Isolationshaft gehalten wird (ein einstündiger Hofgang ist Anstaltspflicht). Er darf an keiner anstalts-internen Aktivität wie Volleyball oder Schach teilnehmen. Nur zweimal pro Monat ist Besuch zu je 45 Minuten gestattet, und Briefe brauchen bis zu vier Wochen, um an den Empfänger zu gelangen - Grund: verschärfte Briefzensur.

Von den USA ausgeliefert

Es handelt sich um den 41jährigen Chemiker Germar Rudolf. Sein Straftatbestand: "Volksverhetzung" (§ 130 StGB) durch Anfertigung eines Gerichtsgutachtens über Gesteinsproben des KL Auschwitz. Das Papier wurde vor mehr als zehn Jahren als wissenschaftliches Sachgutachten für eine diesbezügliche Gerichtsverhandlung erstellt, konnte aber den damaligen Delinquenten nicht entlasten, da wegen "Offenkundigkeit" des gegenständlichen Sachverhalts keine Gegenbeweise zugelassen werden.

Statt dessen bekam der junge Chemiker ebenfalls eine Strafanzeige und sollte für 14 Monate seiner Freiheit beraubt werden, eleganterweise nicht wegen Erstellung des Gutachtens selbst, sondern wegen der Verwirrung, die das Gutachten gestiftet habe. Der Chemiker emigrierte vor Strafantritt nach England, später in die USA, um sich dort weiter mit den Ergebnissen seiner Forschung zu beschäftigen.

Einst boten die USA politischen Flüchtlingen einen Hort der Sicherheit. Doch nichts bleibt für immer. Im November letzten Jahres wurde der Chemiker mit einer eigens dafür bereitgestellten Flugmaschine zwangsweise über den Ozean zurückbefördert, um den deutschen Verfolgungsbehörden wieder zugeführt zu werden. Seine junge Frau mit dem einjährigen Baby blieb in den Vereinigten Staaten zurück. 14 Monate nachsitzen, das wäre bald getan, aber die deutsche Justiz will den eingefangenen Vogel nicht so schnell wieder fliegen lassen: Eine neue Anklageschrift ist bereits erstellt, und diesmal ist das Corpus delicti das Gutachten selbst: "Anklage wegen Erstellung eines wissenschaftlich aufgemachten Scheingutachtens", also offenbar eines Gutachtens, das den Ansprüchen der Wissenschaft nicht genügt.

Der über die Hintergründe nicht informierte Beobachter reibt sich die Augen und fragt, seit wann denn mangelhafte wissenschaftliche Arbeiten hierzulande ein Straftatbestand sind? Und wie will man die Scheinwissenschaftlichkeit beweisen? Juristen sind bekanntlich keine Chemiker. Um festzustellen, ob das damalige Rudolf-Gutachten wissenschaftlich ist oder ob es nur so tut, wäre ein weiteres Sachgutachten vonnöten. Ein solches Gutachten aber, sofern es von den Erwartungen der Anklage abweicht, könnte seinen Urheber ebenfalls hinter Gefängnismauern bringen. Danach wird es niemanden drängen.

Der neue Prozeß gegen den Autor des Rudolf-Gutachtens birgt also alle Möglichkeiten einer juristischen Blamage. Ein Naturwissenschaftler soll bestraft werden, weil er zu unerwünschten Ergebnissen gekommen ist. Darin ein Verbrechen zu sehen, erinnert manche Kritiker an mittelalterliche Inquisitionsprozesse - unabhängig davon, ob die in dem Gutachten vertretenen Thesen richtig oder falsch sind. 1633 schwor Galileo Galilei seinen Überzeugungen ab, um nicht auf dem Scheiterhaufen zu enden. Er wurde daraufhin zu Hausarrest verurteilt. Erst 1992 rehabilitierte ihn die römisch-katholische Kirche.

Irrtum strafbar?

Auch der britische Historiker David Irving hielt es kürzlich in Wien für geboten, eigene Aussagen im nachhinein als "irrig" zu bezeichnen, was die österreichische Justiz aber nicht von der Verhängung einer Haftstrafe abhielt. Immerhin geht es um Generalprävention: Nachahmungstäter sollen abgeschreckt werden. Jeder Geschichtsschreiber muß wissen, was ihn im Falle mißliebiger Aussagen erwartet. Auch Naturwissenschaftler haben sich zu beugen, sollen bei abweichenden Meinungen zumindest schweigen. Das "Offenkundige" scheint so schwach, daß es vor freier Diskussion geschützt werden muß. Ein fataler Eindruck, der den Zweifel nicht tötet, sondern schürt - nicht zuletzt durch öffentliche Prozesse. Je mehr die Staatsmacht auf Offenkundigkeit beharrt, desto häufiger wird gefragt, weshalb sie das nötig hat.

Roger Cohen, Kolumnist der "New York Times", fragte am 24. Februar 2006 im Berliner "Tagesspiegel" süffisant nach der demokratischen Vorbildfunktion des Westens, der seine Ängste nur noch durch das Strafgesetzbuch glaubt bewältigen zu können. Selbst Deborah Lipstadt, die einstige Prozeßgegnerin von David Irving, möchte diesen nicht länger im Gefängnis sehen, denn das werde sich im Laufe der Zeit kontraproduktiv auswirken. Auch der Zündel-Prozeß in Mannheim, der wohl im Oktober mit einem Urteil enden soll, hat bislang nicht den Eindruck erweckt, daß hierzulande die Meinungsfreiheit zu den höchsten Gütern zählt.

Konfliktgeladene Atmosphäre

"Normalerweise fördern und unterstützen Regierungen die Arbeit der Forscher über historische Ereignisse und stecken sie nicht ins Gefängnis", zitierte kürzlich der "Spiegel" den iranischen Staatspräsidenten Dr. Mahmud Ahmadinedschad. Der wundert sich, wie "konfliktgeladen" in Deutschland die Atmosphäre für Geschichtswissenschaftler sei. "Hier in Iran können sie unbesorgt sein." Ahmadinedschad fände es hinsichtlich der NS-Judenverfolgung sinnvoll, "wenn eine internationale und unparteiische Gruppe der Sache nachginge, um ein für alle Mal Klarheit zu schaffen".

Eine solche Gruppe könnte auch überprüfen, was von dem Rudolf-Gutachten zu halten ist. Bundesdeutsche Staatsanwälte und Landrichter sind weder Historiker noch Chemiker.

     Quelle: Nation und Europa