Sleipnir, Zeitschrift für Kultur, Geschichte und Politik,, no 4, Berlin, July-Aug 1995, p. 13- 18.

idem, no 5, Sept.-Oct 95, p. 19- 24.

Ist es die Nacht oder ist es der Nebel?

Serge Thion

Am 27. März dieses Jahres beschlagnahmte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg bei Germar Rudolf unter anderem Jean-Claude Pressacs "Les Crématoires d'Auschwitz" [1] - eine unverdiente Ehrung, die diesem Buch, das unter dem Titel "Die Krematorien von Auschwitz. Die Technik des Massenmordes" auch auf deutsch vorliegt, hiermit zuteil ward. Einzig die Heimlichkeit der Aktion findet eine gewisse Verhältnismäßigkeit in den Entstehungsbedingungen dieses in mancher Hinsicht erstaunlichen Werkes.

Von einem >>Historiker der Nacht<< spricht Le Monde, die uns das Werk eines >>Amateurs<<, der tagsüber Apotheker ist, vorstellt. Einer der jahrzehntelang am häufigsten gegen die Revisionisten vorgebrachten Vorwurf, nämlich >>Amateurhistoriker<< zu sein, wird plötzlich zu einem Gütezeichen, welches den Wert der von der Presse sogleich übernommenen Thesen garantiere. Dies sei die endgültige Antwort auf die Revisionisten. Wäre es sehr unhöflich, daran zu erinnern, daß wir schon eine lange Liste >>endgültiger Antworten<< verschiedenster Art vorliegen haben, die von den großen Prozessen 1980 bis '82 gegen Robert Faurisson über das Buch eines wichtigen Zeugen (>>Drei Jahre in der Gaskammer<<!) bis zu dem cineastischen Meisterwerk des ausgezeichneten Lanzmann reicht?

Pressac ist bei verschiedenen Gelegenheiten bereits als der große Rübezahl vorgestellt worden, der dafür sorgen würde, daß auf dem Acker Faurissons kein Halm mehr gedeiht. Er trat 1982 auf einem Kolloquium der Sorbonne auf, das diese Frage bereits regeln sollte. Damals stand er unter dem allerhöchstem Schutz der größten moralischen Instanz unserer Zeit, des Ritters vom weißen Pferde, Doctissimus Vidal-Naquet. Da es um Fragen technischer und stofflicher Art ging, von denen der bedeutsame Kenner der Antike nicht allzu viel versteht, führte er Pressac mit einem anderen endgültigen Terminator des Revisionismus, mit dem schwer verkannten Chemiker Wellers zusammen, der, nach vielem Zögern, einen Artikel von Pressac auf den Seiten einer heiligen und unantastbaren Zeitschrift namens Le Monde Juif unterbrachte (Juli-September 1982). Dort entwickelte Pressac seine >>gazouillage<< genannte Theorie, die an Stelle des bisher geltenden Kanons der Darstellung treten sollte: ja, es hat Vergasungen gegeben, aber weniger als bisher angegeben: man muß alles nach unten revidieren. Nun war der Effekt Pressac aber nicht so recht wirksam geworden. Es bedurfte anderer Mittel. Für diese sollte das Medienkonsortium der Familie Klarsfeld sorgen. Pressac brütete den endgültigen Text aus. Gewiß hatte er bei seinen Recherchen in den Archiven nicht den entscheidenden Beweis dafür gefunden, daß die Nazis in Auschwitz eine Todesfabrik errichteten, aber er fand eine gewisse Zahl an Spuren, Ausgangspunkte für Mutmaßungen, wie es vor Gericht genannt werden würde. Das Werk enthält Hunderte von Plänen, Fotos, Unterlagen der technischen Dienste von Auschwitz, die, wie man weiß, im Auftrag der SS angefertigt wurden. Um dieses große, schlecht verschnürte Paket überzeugender zu gestalten, haben Klarsfelds die Nichtauslieferung organisiert. In englischer Übersetzung in New York editiert, wurde es weder verkauft, noch auf Anfrage hin zugestellt. Indem man es verschiedenen >>Verantwortlichen in der Gemeinde<< und >>Meinungsführern<< anbot, sollte durch dessen ungreifbare, gewissermaßen mythische Existenz, der Glaube an die Vorstellung gestärkt werden, daß es eine Antwort gäbe, daß eine solche ein für allemal erteilt sei. [2] Die Revisionisten hatten keinerlei Schwierigkeiten, sich in Besitz dieser Prosa zu bringen, die offensichtlich weder von Vidal-Naquet, noch von Klarsfeld näher zur Kenntnis genommen wurde. Andernfalls wären ihnen gewisse Seltsamkeiten und Widersprüche aufgefallen, hätten sie daran zweifeln müssen, das richtige Pferd gesattelt zu haben.

Noch immer wird Pressac gegen den Leuchter- Report in Stellung gebracht, gegen jenes Gutachten eines amerikanischen Spezialisten für die Konstruktion von Gaskammern, der nach einer Untersuchung der Örtlichkeit und der Umgebung jener Räume, die als Gaskammern vorgeführt werden, zu dem Schluß kam, daß dort unmöglich wiederholte Vergasungen einer großen Zahl von Menschen stattgefunden haben können.

Nun haben wir also die vierte endgültige Beweisführung. Für dieses Mal hat Pressac den Schutzgewaltigen gewechselt und sich unter die Fittiche Bédaridas begeben, eines offiziellen Historikers, lange Zeit Direktor eines >>Instituts der Gegenwart<<, und in einer Jury mit Harlem Desir. Letzterer hatte - ohne diese gelesen zu haben - festgestellt, die Thesen von Roques seien keinen Hasenfurz wert. Auf diesen Höhen der Gelehrsamkeit befindet sich auch ein kleiner Katechismus, der, an alle Geschichtslehrer von Frankreich und Navarra verteilt, den geeigneten Stoffliefert, um den Schülern das Hirn zu stopfen. Auf diese Weise mit einer hohen Auflagenzahl vertraut, korrigierte der heldenhafte Bédarida am 22./23.7.1990 in den Spalten von Le Monde die Opferzahl von Auschwitz nach unten; ohne daran zu denken, daß eine solche Korrektur, eine solche Behauptung, daß jetzt nicht 4, sondern 1,1 Millionen Menschen in Auschwitz umgekommen seien, der Erklärung bedürfe. Wobei, fügt der sorgsame Bédarida hinzu, man die Archive noch nicht eingesehen habe. Im übrigen erklärt er weder dies, noch warum man die Archive seit 1945 unerforscht ließ. Soweit vom Schutz des Schützlings.

Das ist also unser Leuchtturm des Geschichtsdenkens, der - zusammen mit ein paar anderen Honoratioren seiner Sorte - für Pressac bürgt. Diese Bürgschaft ist nicht geringzuschätzen, ist das Buch doch vom Centre National de la Recherche Scientifique, dem Nationalen Zentrum für Wissenschaftliche Forschung, veröffentlicht worden. In diesem hochangesehenen Verlag kann nur veröffentlichen, wer mit seinem, auf einem speziellen Gebiet verfaßten, Bericht gleich eine ganze Kommission zu überzeugen vermag. Solch ein Gutachten möchte man kennenlernen.

Was steht in Pressacs Buch? Er erbringt den formalen Beweis, daß die Deutschen Krematoriumsöfen gebaut haben. Man muß schon Journalist sein, um zu glauben - oder diesen Glauben vorzugeben -, die Revisionisten leugneten das Vorhandensein der Krematoriumsöfen oder der Konzentrationslager. Die Krematorien sind seit 1945 bekannt und wiederholt erwähnt worden. Die Frage war, ob sich hinter ihnen geheime Installationen für einen Massenmord verbergen. Pressac, der doch Zehntausende von Dokumenten aus der Hinterlassenschaft der Bauabteilung des Konzentrationslagers durchforstet hat, räumt ohne jede Einschränkung ein, daß diese Einrichtungen zum Zeitpunkt ihrer Planung keinerlei mörderische Intention erkennen lassen, daß diese zur Bewältigung der infolge der hohen Sterberate in Lagern - vor allem nach Kriegsausbruch - entstandenen hygienischen Probleme entworfen waren; angesichts des Ausbruchs von Epidemien, die nicht nur unter den Häftlingen wüteten, sondern auch die Deutschen erfaßten und sogar die Grenzen des Lagers überschritten. In diesem Zusammenhang hatte die Kremierung keinerlei philosophische Bedeutung, es ging lediglich um die allgemeine Gesundheit, um die der Gefangenen wie der anderen.

Den Briefwechsel zwischen den Bauabteilungen von Auschwitz und den zivilen Firmen, die für bestimmte Arbeiten Aufträge erhielten, bis ins einzelne untersuchend, bietet Pressac uns diese Geschichte detailliert (eine ziemlich langweilige Geschichte übrigens), mit all den verschiedenen Bauphasen der Errichtung der verschiedenen Krematorien, einschließlich der vielen Meinungsänderungen der verantwortlichen Herren der SS in der Bauabteilung, die offenbar über keinerlei Weitsicht verfügten und unmittelbar von Vorgesetzten abhingen, die für Auschwitz große Pläne machten, ohne sich allzusehr um die Probleme der Verwaltung zu kümmern, welche arme Teufel von Unteroffizieren dann an Ort und Stelle lösen sollten. Unter diesen Tausenden von Akten, die auf Deutschland, Polen und Moskau verteilt sind, wo nichts geheim ist, in denen die >>Politiker<< der SS kaum auftreten, Akten, die man bei Kriegsende unversehrt ließ - der Abteilungsleiter hatte deren Vernichtung >>unterlassen<< -, in ihnen findet sich nicht ein einziges Dokument, aus welchem eine Nutzung dieser Räumlichkeiten zum Zweck des Massenmords hervorgeht. Nicht eines. Pressac bietet keinerlei Erklärung dieses seltsamen Umstands. Gewiß, er behauptet - wie vor ihm schon andere -, daß die Hinweise auf >>Sonderaktionen<<, die sich in gewissen Akten finden, in verschlüsselter Form auf dieses ungeheure Verbrechen deuteten. Aber die Dokumente zwingen ihn auch zu der Feststellung, daß >>Sonderaktion<< auch etwas ganz anderes, wenig Aufregendes bedeuten kann, daß der Ausdruck >>Sonder--<< in der Militär-- und Verwaltungssprache im Deutschland dieser Zeit bei allen möglichen Gelegenheiten Verwendung fand.

Der Wert von Pressacs Arbeit bestünde somit darin, die sich auf die Errichtung der Krematorien, die Tatorte des behaupteten Verbrechens, beziehenden Unterlagen gewissermaßen erschöpfend studiert zu haben. Wie in seinen vorangegangen Werken findet er >>Spuren<< verbrecherischer Absichten. Von denen er auf seinem Weg übrigens viele wieder verlor. Die >>Spuren<<, die er in seiner Arbeit von 1989 als solche präsentiert, sind in dem Buch von 1993 nicht mehr zu finden. Er hatte beispielsweise festgestellt, daß die SS in den Leichenkellern der Krematorien Be-- und Entlüftungseinrichtungen installieren lassen wollte, was den Willen zu krimineller Nutzung beweise. Pressac war davon dermaßen überzeugt, daß er andere Erklärungsmöglichkeiten außer acht ließ, etwa die Notwendigkeit, in der Zeit der Typhusepidemien die Leichenkeller mit jenem Zyklon B zu entwesen, das auch bei der Entwesung von Kleidungsstücken, der Baracken usw. angewendet wurde. Er glaubte einen weiteren Hinweis auf ein Verbrechen darin entdeckt zu haben, daß für das Entlüftungssystem ein hölzerner Ventilator vorgesehen war, der von der aggressiven Blausäure weniger angegriffen würde als ein Ventilator aus Metall. Ein paar Tage später aber läßt der Ingenieur den hölzernen Ventilator durch einen anderen ersetzen: durch einen aus Metall. Auch behauptet Pressac, daß der >>entscheidende Beweis<< für das Vorhandensein einer Gaskammer zu Mordzwecken in den Krematorien sich in einem Dokument vom März 1943 (Dokument 28, zitiert auf Seite 72) befande, aus welchem hervorgehe, daß eine Dienststelle von Auschwitz auf der Suche nach >>Gasprüfern<< war, mit denen sich Rückstände von Blausäure aufspüren ließen. Da er aber zuvor erklärt hatte, daß die Verwaltung >>tonnenweise<< Zyklon B zum Zweck der Entwesung einsetzte, erscheint dieser Beweis schon deshalb nicht besonders zwingend. Wieso die SS aber, die nach unstrittiger Auffassung mit dem Problem der Rückstandskontrolle also lange vor 1943 vertraut sein mußte, >>Gasprüfer<<(?) (welch seltsames Wort!) ausgerechnet bei einer Ofenbaufirma und nicht bei einem Laborgerätehersteller ordert, ist erst recht nicht zu erkennen.

80.000 Dokumente, das ist die Zahl, die er in seinem Gespräch mit dem Nouvel Observateur nennt. Diese 80.000 Dokumente, die er innerhalb weniger Tage in Moskau gesichtet hat, betreffen, wenn ich es recht verstehe, ausnahmslos die Bauleitung der SS von Auschwitz. Also eine Dienststelle neben vielen anderen. Aber eben jene, die für die Planung und Errichtung dieser berühmten >>Schlachthöfe für Menschen<<, von denen so viel die Rede ist, verantwortlich gewesen wäre. Man kann sich schon darüber verwundern, daß derartige Einrichtungen denselben untergeordneten Dienststellen anvertraut gewesen sein sollen, die sich sonst um die Errichtung von Baracken, Bäckerein, um den Wegebau usw. zu kümmern hatten. Keinerlei Geheimhaltung, nicht die geringste Vorsichtsmaßnahme: diese kleinen Funktionäre zögerten nicht, mit Privatfirmen Werkverträge zu schließen, von denen keinerlei besondere Diskretion verlangt wurde. Das erklärt sich daraus, daß - wie Pressac im Überfluß zeigt - diese Einrichtungen nicht zu mörderischen Zwecken, sondern ganz im Gegenteil als Mittel der Aufrechterhaltung der öffentlichen Gesundheit an diesem Ort geplant waren.

Die Sache ist ziemlich klar: Von den 80.000 Dokumenten, von denen ein Teil ausschließlich die Krematorien betrifft, bezieht sich nicht eines auf eine ausgesprochene Mordeinrichtung. Andernfalls wäre dieses Dokument auch längst triumphierend herumgereicht worden. Bis zu Pressac hatte man sich sagen können, es gebe geheime oder unzugängliche Archive, die ein solches Dokument bergen könnten. Aber Pressac teilt uns mit, die Archive seien (insofern diese die Bauleitung von Auschwitz betreffen) jetzt komplett; der Chef dieser Dienststelle war offenbar der Meinung, sie würden nichts Explosives bergen, denn er hatte deren Zerstörung bei Kriegsende unterlassen. Kurz, man wird zustimmen müssen, daß in dem Aktenberg, der die Angelegenheit hinreichend erhellen sollte, sich nur einige wenige Stücke finden, die einer Vermutung Raum geben könnten. Dort, wo man logischerweise tausend oder zehntausend Dokumente hätte finden müssen (denn es gab weder eine Verschlüsselung, noch wurde etwas zerstört, wo doch alles auf Befehl erfolgte), bleiben lediglich ein paar Stücke am Rande, deren Bedeutung unklar ist; die für den Fall, daß man einen Zusammenhang herstellen könnte, der diesen einen eindeutigen Sinn gäbe, wohl als Beweisstücke dienen könnten, die aber auch ganz andere Bedeutungen haben können, welche von den Historikern normalerweise zunächst überprüft werden, bevor man ein Stück gegebenfalls beiseite legt. Nicht so bei Pressac, der an andere Möglichkeiten der Interpretation nicht zu denken wagt. Wenn er dann das, was er als >>Anfangsbeweise<< bezeichnet, wieder aufgibt (und nur halbherzig protestiert, wenn beispielsweise der Joumalist von France- lnter seine >>Anfangsbeweise<< umstandslos als voll gültig behandelte), wäre er zu dem Eingeständnis verpflichtet, daß seine ganze Arbeit zu nichts geführt hat. Denn er hat in aller Schärfe klargestellt, daß die Lagerverwaltung und die Ingenieure sich mehr oder weniger sporadisch zur Planung und zum Bau der Krematorien entschlossen, welche im übrigen nicht gerade durch Effektivität glänzten. Punkt. Woran offenbar niemals jemand gezweifelt hatte. So hat er also zehn Jahre verbracht, um eine Tür einzurennen, die stets offen war; eine Tür, von der er jede Phase der Konstruktion, angefangen von der ersten Idee über den Bauplan und alle Fertigungsstufen bis ins einzelne beschreibt. Das Interessante aber ist, daß er offenbar nichts anderes gefunden hat, ungeachtet einer Recherche, die in diesem Rahmen als erschöpfend bezeichnet werden kann.

Denn was macht Pressac, um die offizielle These im Notfall zu retten? Er führt etwas von außen zu. Der wesentliche Text, das Ergebnis seiner Arbeit, das ist die Chronik der Konstruktion der Krematorien. Dafür gibt es Quellen in den Archiven. In den Anmerkungen sind diese angegeben: Für eine nach der anderen liefert er uns entsprechend abgekürzt den Schlüssel: Seite VIII: ACM, ARO, AEK, usw. Sieht man sich aber die Seiten 97 bis 109 an, so wird diese Folge plötzlich - abgesehen von seltenen Literaturangaben und Auskünften wie >>Pohl war Oberzahlmeister<< - durch Verweise auf das >>Kalendarium<< [3] oder auf Höß unterbrochen. Im Text geht es dann um die Vergasungen. So läßt er auf Seite 34 seine Archive im Stich, um von der >>ersten Vergasung<< zu sprechen [4] und im gleichen Abschnitt von der Kremierung, von >>ein oder zwei Wochen intensiver Arbeit<<, der Verbrennung von 550 bis 850 Leichen, die zur Zerstörung eines Ofens führte. Es existiert ganz offenbar keinerlei notwendige Verbindung zwischen der >>Vergasung<< (die zum >>Kalendarium<< und dem Bericht von Höß paßt) und dem aus den Archiven ersichtlichen Defekt des Ofens, - wenn man nicht eine Vermutung ehrloserweise als Tatsache angibt. Schließlich stellt der unerschrockene Wissenschaftler fest:

>>Man nimmt heute an, daß in diesem Krematorium nur sehr wenige Vergasungen stattgefunden haben, daß diese aber, da sie direkte oder indirekte Zeugen beeindruckten, vermehrt wurden. <<

Pressac schreibt saumäßig. Was ist ein >>indirekter Zeuge<<? Was soll es bedeuten, daß Vergasungen >>vermehrt<< wurden? Ich fürchte, man wird hier eine regelrechte Exegese durchführen müssen. Vermutlich will dieser verführerische Ausdruck sagen: Gewiß hat man viel über die Vergasungen im Krematorium I des Stammlagers Auschwitz, als den Beginn des Völkermordes, geschrieben. In Anbetracht der Unglaubwürdigkeiten aber und der Erfindungen, welche die Revisionisten aufgespießt haben, entscheide ich, Pressac (>>man nimmt heute an<<), dieses Feld zu räumen (auf dem etwas >>vermehrt<< wurde), und als Erklärung für die Unwahrscheinlichkeiten die >>beeindruckten<< Zeugen anzugeben, - selbst diejenigen, die nicht an Ort und Stelle waren, und ungeachtet dessen als Zeugen angesehen werden, wenn auch nur als >>indirekte<<. Nicht eine Quelle, kein einziges Dokument, das diesen Rückzug rechtfertigte. Pressac ist sich wohl bewußt, daß die kanonisierte Darstellung nicht standhält. Um diese zu stützen, macht er Zugeständnisse, ohne diese jedoch ihrerseits begründen zu können. >>Man schätzt...<<, - die Fortsetzung ist vom gleichen Stoff:

>>Da eine Vergasung die vollkommene Isolierung des Gebietes um das Krematorium erfordert [kein Zeuge hat das jemals erwähnt, dies folgt aus der Kritik der Revisionisten] und diese daher während des Betriebes nicht durchführbar waren, hat man Ende April entschieden, diese Art der Aktivität nach Birkenau zu verlegen.<< (S. 35)

Eine Entscheidung, von der niemand etwas weiß; die er erfunden hat, um wieder auf die Füße zu fallen und sich in den Zug der offiziellen Geschichtsschreibung einreihen zu können.

Das amüsante Paradox bei all dem ist, daß Pressac von der offiziellen Geschichtsschreibung einzig jene der Gaskammern respektiert. Ansonsten tritt er die Dogmen ganz nach Belieben mit den Füßen. Die berühmte >>WannseeKonferenz<<, die ein ganzer Olymp engagierter Autoren zum Ort und als Zeitpunkt bestimmt haben, an dem die Vernichtung beschlossen wurde, wird mit sechs Zeilen weggefegt (noch immer S. 35). Pressac macht es wie die Revisionisten: Er liest den Text, in dem von der Verschickung der Juden nach Osten, aber keineswegs von einer industriellen Vernichtung die Rede ist. Er bestätigt das durch die Tatsache, daß die Bauleitung im Ergebnis dieser Konferenz auf hoher Ebene keinerlei spezielle Anweisung erhielt. Der die Entscheidung zum Völkermord umgebende Nebel wird entsprechend dicker. Ich würde gern die Gedanken der sogenannten Fachleute lesen können, wenn ihnen diese sechs Zeilen unter die Augen kommen!

Mit Seite 39 ist man bei den Bauernkaten von Birkenau angekommen, die nun also der Ort der Vernichtung sein sollten. [5] Dort wird von neuem eine Passage in den sonst sich auf die Archive stützenden Text eingefügt, deren Quelle das >>Kalendarium<< ist. Auf Seite 41 informiert Himmler Höß über die Wahl seines Lagers als Zentrum der Auslöschung des Judentums. Pressac selbst teilt uns mit, daß der Bericht von Höß enorme Unglaubwürdigkeiten enthält und ganz und gar nicht verläßlich ist (Anmerkung 132). Es ist ein fauler Apfel, und doch das Einzige, von dem Pressac auf einem Gebiet zehren kann, auf dem er nicht geforscht hat: auf jenem der Politik. Zwar gibt es Archive, aber da diese nicht technischer Natur sind, läßt Pressac sie unberührt. Das ist Brot für die Historiker; das kann unser Apotheker nicht kauen. Zu dieser Zeit muß aber doch über die ungeheuer mörderische Aktivität dieser kleinen Funktionsträger entschieden worden sein. Sowohl in bezug auf Himmler als auch hinsichtlich des Höß- Berichtes steht Pressac, indes die Winterszeit nun einmal gekommen ist, nahezu unbekleidet da.

Wenn er über die Sonderkommandos schreibt, diese hätten die Toten aus den Gaskammern ziehen müssen (S. 43), gibt er als Quelle in Anmerkung 141 aufs neue das >>Kalendarium<< an. Das ist die dritte Injektion.

Auf Seite 47 teilt Pressac dann mit, daß man große Mengen Zyklon B für den Kampf gegen die im Lager wütende Typhusepidemie benötigte, welches man höheren Orts unter dem Titel >>Sonderbehandlung<<, was ganz offensichtlich die Entwesung von Gebäuden bedeutete (ein SS- Mann ist sogar dabei vergiftet worden, siehe vorangehende Seite), beantragte. Und weiter unten, auf der gleichen Seite, schreibt er, daß die Bauleitung >>wegen der durch die "Sonderaktionen" entstandenen Lage<< die Errichtung eines neuen Krematoriums ins Auge gefaßt hätte. Der Text wird zu prüfen sein. Wie Pressac ohne nähere Begründung behaupten kann, diese Formulierung sei die Bestätigung, daß Auschwitz zum >>Ort der Massenvernichtung der Juden<< erwählt worden war, bleibt ein großes intellektuelles Geheimnis. Und das angesichts einer Verwaltung, die sich abmüht, eine Epidemie in den Griff zu bekommen, die 20.000 Tote kosten sollte (eine Zahl, die Pressac dem Nouvel Observateur nannte, S. 94); die weiß, daß das Lager weitere Ausdehnung erfahren soll - um Zehntausende aus dem Osten Deportierte aufzunehmen, die als besonders >>verlaust<< gelten - und die versucht, sich die Waffen für diesen Kampf zu verschaffen: tonnenweise Zyklon B und Krematorien. (Erinnern wir uns, daß die Engländer in Bergen- Belsen die Epidemie, die bei ihrem Eintreffen wütete, nicht unter Kontrolle brachten). Und Pressac gelangt somit von seiner bescheidenen persönlichen Vermutung, die nur als eine Anpassung sinnvoll ist, zu einem ihm im voraus gegebenen Erklärungsmuster:

>>Diese bestürzende Vorrichtung zur Einäscherung [die gleichwohl eng mit der Situation verbunden war] mußte den Dienststellen der SS in Berlin bekannt sein [ganz offensichtlich, denn diese hatten die Gelder bewilligt] und von diesen schließlich mit der "Endlösung" der Judenfrage in Verbindung gebracht werden.<< (S. 47)

Letzteres ist eine Behauptung, die sich auf keinerlei Dokumentation aus diesen berühmten Archiven stützen kann.

Fortsetzung . . .